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Kindheitsevangelien Deutsch

Veröffentlicht am 03.11.2016

Startseite Apokryphe Schriften

 

Anmerkungen zu:

1. Arabisches Kindheitsevangelium

2. Lateinisches Kindheitsevangelium

3. Pseudo-Matthäusevangelium

4. Die Geburt Mariens

5. Biblische Ursprünge in den apokryphen Weihnachtserzählungen

6. Apokryphe Weihnachtserzählungen als Bestandteil der christlichen Weihnachtsverkündigung

7. Apokryph und nicht kanonisch

8. Schluss

 

(Arabisches Kindheitsevangelium in Lateinisch in Evangelia Apocrypha, Konstantin von Tischendorf, Leipzig, 1853, Nachdruck: Hildesheim 1966, 1987)

  

1. Arabisches Kindheitsevangelium

1.1 Genese des Evangeliums

In Abhängigkeit zum Protevangelium des Jakobs scheint das arabische Kindheitsevangelium entstanden zu sein.20 Es liegt in zwei arabischen Handschriften und drei Zeugen einer syrischen Redaktion vor,21 wobei offen ist, welcher Fassung Vorrang zu gewähren ist.22 Was die Abfassungszeit der verschiedenen Handschriften betrifft, muß zwischen den verschiedenen Rezensionen unterschieden werden, doch kann für den Grundstock dieses Werkes kaum ein Datum vor dem 5. Jahrhundert und die Zusammenstellung nicht vor dem 6. Jahrhundert datiert werden.23
Die verschiedenen Handschriften wurden wohl im Raum des heutigen türkischen Kurdistans und des Nordiraks verfaßt und sind gekennzeichnet durch Einflüsse des Korans.24

1.2 Schrifttext

Kapitel 3:

(1) Nach Sonnenuntergang also kam die Hebamme und mit ihr Josef zu der Höhle, und beide traten ein. Und siehe, sie war erfüllt von Lichtern, schöner als der Glanz von Lampen und Kerzen und glänzender als das Sonnenlicht. Ein Kind, in Windeln gewickelt, wurde von seiner Mutter, der Herrin Maria, gestillt. Es lag in der Krippe.

(2) Als beide sich über dieses Licht wunderten, frage die Alte die Herrin Maria: ,,Bist du die Mutter dieses Neugeborenen?" Und als die Herrin Maria das bejahte, sagte sie: ,,Keineswegs gleichst du den Töchtern Evas." Da sagte die Herrin Maria: ,,Wie meinem Sohn kein anderes Kind gleicht, so hat auch seine Mutter unter den Frauen nicht ihresgleichen."

Kapitel 7:

Und es geschah, als der Herr Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geborgen war, siehe, da kamen Magier aus dem Morgenland nach Jerusalem, wie es Zeraduscht vorausgesagt hatte. Sie brachten mit als Geschenk: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Sie beteten ihn an und brachten ihm ihre Geschenke dar. Da nahm die Herrin Maria eine von jenen Windeln und gab sie ihnen als kleine Gegengabe. Sie nahmen sie von Maria entgegen und fühlten sich hoch geehrt. In der gleichen Stunde erschien ihnen ein Engel in Gestalt jenes Sterns, der ihnen zuvor Wegführer gewesen war. Sie folgten seinem Licht und zogen von dannen, bis sie ihre Heimat erreichten.

Kapitel 8:

Zu ihnen kamen aber Könige und ihre Fürsten mit der Frage, was sie gesehen und ausgerichtet hätten, wie sie die Hinreise und den Rückweg erlebt und was sie mitgebracht hätten. Sie aber zeigten ihnen jene Windel, die die Herren Maria ihnen überreicht hatte. Aus diesem Anlaß feierten sie ein Fest. Nach ihrem Brauch machten sie ein Feuer und beteten es an. Sie warfen jene Windel hinein; und das Feuer erfaßte sie und nahm sie in sich auf. Als das Feuer erloschen war, zogen sie die Windel hervor, so, wie sie zuerste gewesen war, als habe das Feuer sie nicht angetastet. Daher begannen sie, die Windel zu küssen, sie sich auf den Kopf und die Augen zu legen, und sagten: ,,Das ist wirklich unbezweifelte Wahrheit. Es ist wirklich ein große Sache, daß das Feuer sie nicht verbrennen oder vernichten konnte!" Sie nahmen sie von dort mit und legten sie mit höchsten Ehren zu ihren Schätzen.

Kapitel 10:

(1) Während Josef überlegte, wie er seine Reise (nach Ägypten) bewerkstelligen sollte, kam der Morgen über ihn; er war schon ein kleines Stück Weges gegangen.

Kapitel 25:

Von dort gingen sie hinab nach Memphis, wo sie den Pharao sahen; sie bleiben drei Jahre in Ägypten. Der Herr Jesus vollbrachte in Ägypten sehr viele Wunder, die weder im Kindheitsevangelium noch im vollständigen Evangelium aufgezeichnet zu finden sind.

 

 

2 Lateinisches Kindheitsevangelium

2.1 Genese

Das Lateinische Kindheitsevangelium besitzt als Quellen sowohl das Protevangelium des Jakobus und das Pseudo-Matthäus-Evangelium.26 Eine eindeutige Abfassungszeit kann nicht ermittelt werden, aber es wird wohl nicht vor der 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts, sondern eher in der Zeit nach dem 9. Jahrhundert entstanden sein.27 Wie der Titel schon sagt, ist es in lateinischer Sprache abgefaßt. Wo es jedoch entstanden ist, kann nicht ermittelt werden. Es liegen lediglich zwei Handschriften vor, wobei die ältere aus dem 13. Jahrhundert und die jüngere aus dem 14. Jahrhundert stammt. Letzteres Manuskript stammt aus einer Karthause bei Mainz.28

2.2 Schrifttext29

(62) Josef aber ging voraus in die Stadt. Maria aber ließ er zusammen mit Simeon, seinem Sohn, zurück, weil sie schwanger war und langsamer vorankam. Er betrat seine Vaterstadt Betlehem, und mitten in der Stadt stehend sprach er: ,,Nichts anderes ist gerecht, außer daß jemand seine Vaterstadt liebt. Sie ist nämliche eines jeden Menschen Raststätte, und bei seinem eigenen Stamm kann er ausruhen. Ich aber sehe dich nach langer Zeit wieder, Betlehem, gutes Haus des Königs und Gottespropheten David."

(63) Und als er umherging, sah er einen abseits gelegenen Stall und sagte: ,,An diesem Ort muß ich bleiben, denn er scheint mir der Aufnahme von Reisenden zu dienen. Für mich gibt es nämlich weder ein Gasthaus noch eine Herberge, wo wir rasten können." Und er sah sich um und sprach: ,,Diese Wohnstätte ist zwar bescheiden, aber für Arme passend, besonders, weil sie abseits vom Lärm der Menschen liegt, so daß er der Wöchnerin nicht schaden kann. Deshalb muß ich an diesem Ort mit allen meinen Leuten Rast machen."

(72) In jener Stunde ruhte alles in tiefem Schweigen und in Angst.

Die Winde flauten ab und wehten nicht mehr, von den Blättern der Bäume regte sich keins mehr, kein Rauschen der Wasser war zu hören, es gab kein Wogen des Meeres, und alle Wasserquellen schwiegen. Keine Stimme von Menschen erklang, und es herrschte ein tiefes Schweigen. Denn das Himmelsgewölbe hörte von jener Stunde an auf, sich im Lauf zu bewegen. Das Maß der Stunden war fast vorübergegangen; alles hatte geschwiegen, staunend und in großer Angst, in Erwartung der Ankunft Gottes aus der Höhe und des Endes der Zeiten.

(73) Da also die Stunde nahte, kam die Kraft Gottes offen zum Vorschein. Das Mädchen stand da, schaute zum Himmel und wurde wie ein Weinstock. Die Zeit der guten Dinge schritt schon voran. Als aber das Licht hervorgegangen war, betete sie den an, von dem sie sah, dass sie ihn geboren hatte. Das Kind selbst aber sandte Strahlen aus wie die Sonne, kraftvoll, rein und lieblich anzuschauen, da es allein als Friede, überall Frieden verbreitend, erschien. In jener Stunde, da es geboren wurde, hörte man die Stimme vieler unsichtbarer Wesen, die einstimmig sagten: "Amen". Und das Licht selbst, das geboren war, wurde stärker, und die Helligkeit seines Lichtes verdunkelte das Licht der Sonne. Und die Höhle wurde erfüllt von dem hellen Licht zusammen mit dem süßesten Duft. So wurde dieses Licht geboren, wie Tau vom Himmel herabsteigt auf die Erde. Denn sein Duft riecht besser als aller Wohlgeruch von Salböl.

(75) Als Simeon das vernommen hatte, antwortete er: ,,Glückselige Frau, die du würdig warst, diese neue und heilige Vision zu schauen und zu verkündigen! Auch ich bin glücklich, der ich dies hören, wenn auch nicht sehen, durfte und dennoch glaubte." Da sagt zu ihm die Hebamme: ,,Ich habe dir noch eine wunderbare Sache zu berichten, daß du staunen wirst!" (...) Da sagte die Hebamme zu ihm: ,,Du aber, Herr, bist mein Zeuge, daß ich sie mit meinen Händen berührte und das Mädchen, das geboren hatte, als Jungfrau fand, nicht nur unmittelbar nach der Geburt, sondern auch (...) vom Geschlecht des Mannes. In dieser Stunde rief ich mit lauter Stimme und pries Gott, fiel auf mein Angesicht und betete an. Danach ging ich nach draußen. Josef aber wickelte das Kind in Windeln und legte es in einer Krippe."

 

3. Pseudo-Matthäusevangelium

3.1 Genese

Das Pseudo-Matthäus-Evangelium ist wohl das einflußreichste Kindheitsevangelium; es hat großen Einfluss auf Kunst und Literatur ausgeübt.31 Es entstand im 6. oder 7. Jahrhundert und wurde in karolingischer Zeit zusammengefasst. Kunsthistorische Zeugnisse lassen genauer auf die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts schließen.32

3.2 Schrifttext33

Kapitel 13:

(1) Es geschah aber nach einer kurzen Zeit, dass eine Anmeldung erfolgen musste aufgrund eines Ediktes des Kaisers Augustus, dass jeder sich in seiner Heimat melden musste. Diese Anmeldung wurde durchgeführt unter Quirinius, dem Statthalter Syriens. Es war erforderlich, dass Josef sich mit Maria in Betlehem meldete, weil er von dort stammte und Maria aus dem Stamm Jude und dem Haus und der Heimatstadt Davids (kam).

(2) (...) Und dort gebar sie einen Knaben, den Engel umstanden während und nach seiner Geburt. Sie sprachen: ,,Ehre sei Gott in der Höhe, und auf Erden Friede den Menschen seiner Huld!"

(3) (...)

(4) (...)

(5) (...)

(6) Auch Schafhirten versicherten, sie hätten Engel gesehen, die mitten in der Nacht einen Hymnus sangen, Gott im Himmel lobten und priesen und verkündigten, der Heiland aller sei geboren: der Herr Christus, in dem das Heil Israels wiederhergestellt wird.

(7) Aber auch ein ungeheuer heller Stern leuchtete vom Abend bis zum Morgen über der Höhle, der so groß war, wie man noch keinen gesehen hat seit Erschaffung der Welt. Und Propheten, die in Jerusalem waren, sagten, daß dieser Stern die Geburt Christi anzeige, der nicht nur für Israel die Verheißung verwirklichen werde, sondern für alle Völker.

Kapitel 14:

Am dritten Tag der Geburt des Herrn verließ Maria die Höhle und gingen in einen Stall. Sie legte den Knaben in eine Krippe; Ochs und Esel huldigtem ihm. Da ging in Erfüllung, was der Prophet Jesaja gesagt hatte: ,,Es kennt der Ochse seinen Besitzer und der Esel in der Krippe seinen Herrn." Die Tiere nahmen ihn in ihre Mitte und huldigten ihm ohne Unterlass. So erfüllte sich der Ausspruch des Propheten Habakuk: ,,In der Mitte zwischen zwei Tieren wirst du bekannt werden." An demselben Platz blieben Josef und Maria mit dem Kind drei Tage lang.

Kapitel 15:

(1) Am sechsten Tag gingen sie nach Betlehem hinein, wo sie am siebten Tag weilten. Am achten Tag aber beschnitt man den Knaben und nannte ihn Jesus, wie er vom Engel genannt worden war, noch vor der Empfängnis im Schoß (seiner Mutter). Nachdem für Maria die Tage der Reinigung nach dem Gesetz des Mose vorbei waren, brachte Josef das Kind in den Tempel des Herren. Als das Kind die Beschneidung empfangen hatte, brachten sie für es zwei Turteltauben und zwei junge Tauben als Opfer dar.  

(2) Es befand sich aber im Tempel ein vollkommener und gerechter Gottesmann namens Simeon, einhundertundzwölf Jahre alt. Er hatte vom Herrn den Bescheid erhalten, er werden den Tod nicht kosten, ehe er Christus, den Sohn Gottes im Fleische, gesehen habe. Als er das Kind sah, rief er mit lauter Stimme: ,,Heimgesucht hat Gott sein Volk und erfüllt hat der Herr sein Versprechen." Er eilte hinzu und betete das Kind an. Und danach nahm er es auf in seinen Mantel, betete es wieder an, küsste ihm die Fußsohlen und sprach: ,,Nun, Herr, entläßt du deinen Knecht gemäß deinem Wort in Frieden; denn meine Augen haben dein Heil gesehen, das du vor dem Angesicht aller Völker bereitet hast: ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und Herrlichkeit für dein Volk Israel.

(3) Im Tempel des Herrn befand sich auch die Prophetin Hanna, eine Tochter Penuels aus dem Stamme Ascher. Sie hatte mit ihrem Mann nach ihrer Zeit als Jungfrau sieben Jahre gelebt; sie war Witwe, nun schon vierundachtzig Jahre. Niemals verließ sie den Tempel des Herrn, dem Fasten und dem Gebet hingegeben. Sie trat hinzu, betete das Kind an und sagte, in ihm sei die Erlösung der Welt.

Kapitel 16:

(1) Nach zwei Jahren kamen Magier aus dem Morgenland nach Jerusalem und brachten ansehnliche Geschenke. Sie befragten die Juden eindringlich und sagten: ,,Wo befindet sich der König, der euch geboren worden ist? Wir haben nämlich seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihm zu huldigen." Dieses Gerücht gelangte zum König Herodes. Er geriet dermaßen in Schrecken, dass er (Boten) zu den Schriftkundigen, den Pharisäern und den Lehrern des Volkes schickte, damit er herausbekomme, wo nach der Voraussage der Propheten Christus geboren werden sollte. Sie sagten ihm: ,,In Betlehem in Judäa. So nämlich steht geschrieben: Und du, Betlehem in Juda, bist keineswegs die geringste unter den Fürstenstädten Judas. Denn aus dir wird hervorgehen der Führer, der mein Volk Isarel regieren wird." Da ließ Herodes die Magier kommen und forschte bei ihnen sorgfältig nach dem Termin, zu dem sie den Stern entdeckten. Er schickte sie nach Betlehem und sagte: ,,Geht und fragt sorgfältig nach dem Knaben! Und wenn ihr ihn gefunden habt, macht mir Meldung, damit auch ich hingehe und ihm huldige!"

(2) Als sich die Magier auf dem Weg befanden, erschien ihnen der Stern. Er zog ihnen voraus, als wenn er ihnen als Herold diene, bis sie zu der Stelle kamen, wo sich der Knabe befand. Als sie aber den Stern erblickten, ergriff sie eine große Freude. Sie betraten das Haus und fanden das Jesuskind auf dem Schoß der Mutter sitzend. Dann taten sie ihre Schätze auf, und mit ungeheuer wertvollen Gaben beschenkten sie Maria und Josef. Dem Kind selbst aber brachten sie jeder ein Goldstück dar. Danach überreichte einer Gold, der andere Weihrauch und der dritte Myrrhe. Als sie zu Herodes zurückkehren wollten, wurden sie bei Nacht von einem Engel davor gewarnt, wieder zu Herodes zu gehen. Sie indessen huldigtem dem Kind in aller Freude, und auf einem anderen Weg kehrten sie in ihr Land zurück.

Kapitel 17:

(1)   Als Herodes sah, dass die Magier mit ihm ihr Spiel getrieben hatten, entbrannte sein Herz vor Zorn. Er schickte die Häscher auf alle Straßen, um sie zu verhaften und umzubringen. Als er sie überhaupt nicht ausfindig machen konnte, schickte er (Schergen) nach Betlehem und ließ alle Kinder von zwei Jahren und jünger ermorden, entsprechend der Zeit, die er von den Magiern erfragt hatte.

(2)   (2) Einen Tag, bevor das geschehen sollte, wurde Josef im Schlaf von einem Engel des Herrn ermahnt, der ihm sagte: ,,Nimm Maria und das Kind, und zieh auf einer abgelegenen Straße nach Ägypten!" Josef aber machte sich auf den Weg, wie ihm der Engel geboten hatte.

 

  

4. Die Geburt Mariens

4.1 Genese

Diese Schrift erscheint als ein erweiterter Auszug aus dem Pseudo-Matthäus-Evangelium. Es wurde Paschachius Radbertus (+859) zugeschrieben. Da das älteste Zeugnis über diese Schrift von Bischof Fulbert von Chartres (+1028) stammt, wird als Entstehungszeit das 9. Jahrhundert angenommen.34 Es handelt von Maria und ihrem wunderbaren Leben bis zur Geburt Jesu und beschränkt sich somit auf den Teil des Protevangelium des Jakobus, das sich auf das Leben Mariens bezieht.35
Wesentliche Grundzüge dieser Schrift wurden in der ,,legenda aurea" aufgenommen.36

4.2 Schrifttext37

Kapitel 4:

(1) Darauf erschien er seiner Frau Anna und sagte: ,,Fürchte Dich nicht, Anna, du sollst nicht meinen, was du siehst, sei ein Gespenst. Ich bin nämlich jener Engel, der eure Gebete und Almosen vor dem Angesicht Gottes darbrachte. Und jetzt bin ich zu euch gesandt, um euch die bevorstehende Geburt einer Tochter zu verkündigen. Sie wird Maria heißen und mehr als alle Frauen gesegnet sein. Sie wird von Geburt an sogleich voll der Gnade des Herrn sein und die drei Jahre (bis zu) ihrer Entwöhnung im väterlichen Haus verweilen; (...)

Kapitel 9:

(1) In diesen Tagen, nämlich der ersten Zeit seines Erscheinens in Galiläa, wurde zu ihr von Gott der Engel Gabriel gesandt, der ihr den Plan des Herrn erzählen und die Weise und den Verlauf ihrer Empfängnis erklären sollte. Als er bei ihr eintrat, erfüllte er die Kammer, in der sie sich aufhielt, mit einem hellen Licht und grüßte sie sehr huldvoll und sagte: ,,Sei gegrüßt; Maria, dem Herrn wohlgefällige Jungfrau, Jungfrau voll Gnade! Der Herr ist mir dir. Du bist gesegnet vor allen Frauen, gesegnet vor allen bisher geborenen Menschen."

(2) Die Jungfrau aber kannte den Anblick von Engeln schon gut, und das himmlische Licht war für sie nicht ungewohnt. So erschrak sie weder vor dem Anblick des Engels noch vor der Stärke des Lichtes, sondern lediglich durch seine Rede wurde sie verwirrt. Sie begann nachzudenken, was dieser so ungewohnte Gruß bedeuten könnte, was er anzeige und welchem Zweck er diene. Dieser Überlegung entgegnete der Engel aufgrund göttlicher Eingebung: ,,Fürchte nicht", sagte er, ,,Maria, ich komme mit diesem Gruß etwas verbergen, was deiner Keuschheit entgegensteht! Du hast nämlich Gnade gefunden beim Herrn, da du die Keuschheit gewählt hast: Deshalb wirst du als Jungfrau ohne Sünde empfangen und einen Sohn gebären.

(3) Er wird groß sein, denn er wird herrschen von Meer zu Meer und vom Strom bis zu den Enden des Erdkreises; und er wird ,Sohn des Höchsten` genannt werden, denn wer niedrig geboren wird auf Erden, wird erhaben herrschen im Himmel. Gott, der Herr, wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird herrschen im Hause Jakobs in Ewigkeit. Sein Reich wird kein Ende haben: Er ist der König der Könige und der Herr der Herrschenden, sein Thron besteht in Ewigkeit.

(4) Auf diese Worte des Engels antwortete die Jungfrau, nicht aus Unglauben, sondern weil sie die Weise wissen wollte: ,,Wie kann dies geschehen? Denn, da ich gemäß meinem Gelübde niemals einen Mann erkenne, wie kann ich gebären ohne Wachstum männlichen Samens?" Dazu sagte der Engel: ,,Du mußt nicht meinen, dass du auf menschliche Weise (dein Kind) empfängst: Denn ohne Verkehr mit einem Mann wirst du empfangen, als Jungfrau gebären, als Jungfrau (das Kind) nähren. Denn der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten dich überschatten, gegen alle Gluten der Begierde. Deshalb wird auch das Kind, das aus dir geboren wird, als einziges heilig sein, weil es, als einziges ohne Sünde empfangen und geboren, Sohn Gottes genannt wird." Da breitete Maria die Hände aus, erhob die Augen zum Himmel und sagte: ,,Siehe, ich bin die Magd des Herrn, denn ich bin nicht wert, Herrin genannt zu werden. Mir geschehe entsprechend deinem Wort!"

(5) Zu lang und manchem auch zuwider würde es sein, wenn wir in dieses kleine Werk all das aufnehmen wollten, was wir über die Vor- und Nachgeschichte der Geburt des Herrn lesen können. Deshalb wollen wir weglassen, was im Evangelium ausführlicher geschrieben steht, und uns dem zuwenden, was man für weniger erzählenswert hält.

Kapitel 10:

(1) Josef also kam von Judäa nach Galiläa und hatte vor, die mit ihm verlobte Jungfrau als Gattin heimzuführen. Drei Monate waren nämlich schon verflossen, und der vierte brach an, seit sie mit ihm verlobt war. Inzwischen wuchs das Kind im Mutterschoß heran, und die Schwangerschaft begann offenkundig zu werden. Das konnte auch Josef nicht verborgen bleiben. Denn nach Art eines Verlobten trat er unbefangen bei der Jungfrau ein und, vertraut mir ihr sprechend, entdeckte er, dass sie schwanger war. Er begann, sich aufzuregen und hin und her zu überlegen, denn er wusste nicht, was er am besten tun sollte. Er wollte sie weder ausliefern, weil er gerecht war, noch wegen Ehebruchs in Verruf bringen, denn er war mild gesonnen. Deshalb dachte er daran, die Ehe heimlich zu scheiden und sie insgeheim zu entlassen.

(2) Als er so überlegte, siehe, da erschien ihm nachts ein Engel des Herrn und sagte: ,,Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht! Das bedeutet: Hege nicht den Verdacht auf Ehebruch gegen die Jungfrau, und denk nichts Übles über sie! Hab auch keine Furcht, sie als Gattin heimzuführen. Denn, was in ihr entstanden ist, und nun deine Seele ängstigt, ist nicht Werk eines Menschen, sondern des Heiligen Geistes. Sie wird nämlich, als einzige von allen Jungfrauen, den Sohn Gottes gebären. Und du sollst in ,Jesus` nennen, das heißt ,Retter`. Denn er wird sein Volk heilen von seinen Sünden

(3) Also nahm Josef, entsprechend der Weisung des Engels die Jungfrau zur Gattin. Dennoch erkannte er sie nicht, sondern behütete sie in keuscher Fürsorge. Schon nahte der neunte Monat seit der Empfängnis, als Josef seine Frau und alles Notwendige mitnahm und nach Betlehem, der Stadt, aus der er stammte, aufbrach. Es geschah aber, als sie dort waren, erfüllten sich die Tage, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren erstgeborenen Sohn, wie die Evangelisten lehrten, unseren Herrn Jesus Christus, der mit dem Vater und dem Heiligen Geist lebt und herrscht in alle Ewigkeit.


 

5. Biblische Ursprünge in den apokryphen Weihnachtserzählungen

Wie bereits in den obigen Kapiteln zu den einzelnen apokryphen Texten ausgeführt wurde, besteht in der Datierung der einzelnen Texte Einigkeit darüber, dass diese Texte allesamt nach den kanonischen Evangelien verfasst wurden.

Wie Altaner feststellt, wurden die Apokryphen auch als ,,Erbauungs- und Unterhaltungsschriften"38verfasst. Aus diesen Texten ,,sprach ganz einfach die rührende Wissbegierde der ersten Christen; die Scharen der Gläubigen wollten so viel wie möglich über die Dinge erfahren, die ihnen am meisten am Herzen lagen; sie wollten alle Einzelheiten wissen: vor allem über die Abschnitte des Lebens Jesu, über die sich die amtlichen Texte ausschweigen."39
Deshalb erscheint es angebracht, die Apokryphen in ihrer Abhängigkeit von den älteren Evangelien des Neuen Testamentes zu betrachten.

In diesem Teil der Arbeit sollen die apokryphen Texte, deren Ursprünge in den biblischen Kindheitsevangelien zu finden sind, kurz skizziert werden.41 Eine Berücksichtigung aller biblischen Ursprünge (d.h. zum Beispiel auch die Berücksichtigung alttestamentlicher Bezüge) würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Deshalb wird darauf verzichtet.

5.1 Das Protevangelium des Jakobus  

Gerade an dieser apokryphen Schrift lässt sich besonders schön die Komposition erkennen.42 Um den Mittelpunkt dieser Schrift, die immer wieder biblische Schriftstellen aufgreift (Kapitel 11-22), ranken sich neue Geschichten von Joachim und Anna, der Geburt Mariens bis zur ,Verlobung` Josefs mit Maria nach göttlichem Willen (Kapitel 1-10), sowie der Flucht Elisabeths mit Johannes bis zur Nachfolgeregelung des Zarachrias, der ermordet wird (Kapitel 22-24).

Doch auch der mittlere Teile ist durchwirkt von großen Anteilen apokrypher Texte. So kann festgestellt werden, ,,dass der meiste Stoff keine Grundlage in den Kindheitsevangelien nach Matthäus und nach Lukas"44 hat, wenngleich auch ein deutlicher Bezug zu diesen kanonischen Evangelien deutlich wird.

Der Grund, dass die kanonischen Evangelien nur in dieser Schrift fragmentarisch eingewirkt wurden, mag in der ursprünglichen Intention dieser Schrift liegen, die den Hauptaugenmerk auf das Leben Mariens legt, wie der ursprüngliche, alte Titel dieser apokryphen Schrift nahelegt: ,Geburt Marias`.

Biblischen Bezug bezeugen die

Kapitel 12: Verkündigung an Maria (vgl. Lk 1, 26-38)

Kapitel 13: Besuch Marias bei Elisabeth (vgl. Lk 1,39-56)

Kapitel 14: Die Erscheinung des Engels Josef im Traum (vgl. Mt 1,20-24)

Kapitel 17: Die Reise nach Betlehem (vgl. Lk 2,4)

Kapitel 21: Die Magier und ihre Anbetung (vgl. Mt 2, 1-12)

Kapitel 22: Der Tötungsbefehl des Herodes (vgl. Mt 2,16)47

 

5.2 Das arabische Kindheitsevangelium

Das arabische Kindheitsevangelium, das hier in der Ausgabe von H. Sike veröffentlicht wurde,48 zeigt bei seinem Aufbau einen anderen Rückgriff auf die biblischen Kindheitsevangelien. Die meisten Bezüge auf die biblischen Kindheitsevangelien sind im ersten Teil zu finden. Da der vollständige Text bei dieser Arbeit nicht vorgelegen hat, kann hier nur auf die Übersicht bei Gerhard Schneider zurückgegriffen werden.49

Danach wird im ersten Teil (in den Kapiteln 1 - 9) die Weihnachtsgeschichte aufgenommen, die jedoch umfangreich durch nichtbiblische Erzählungen erweitert wird. Dieser erste Teil erscheint auch weitgehend abhängig von Protevangelium des Jakobus zu sein.50

Wo das arabische Kindheitsevangelium auf biblische Evangelien zurückgreift, fällt auf, daß dies im Wesentlichen im Rückgriff auf das Lukas-Evangelium geschieht

Kap. 1: Worte Jesu in der Wiege (vgl. Lk 1,26-38)

Kap. 2: Reise nach Betlehem (vgl. Lk 2,1-5)

Kap.3,2: Maria und die Hebamme (vgl. Lk 2,6f)

Kap 4: Die Huldigung der Hirten (vgl. Lk 2, 8 - 18)

Kap 5: Beschneidung Jesu (vgl. Lk 2,21)

Kap 6: Darstellung im Tempel (vgl. Lk 2,22)51

Lediglich zwei Kapitel der Weihnachtserzählungen im arabischen Kindheitsevangelium beziehen sich auf das Matthäus-Evangelium:

Kap. 10: Flucht nach Ägypten (vgl. Mt, 2,13-15)

Kap. 26: Heimkehr nach Israel (vgl. Mt, 2, 19-23).52

 

5.3. Das Lateinische Kindheitsevangelium

Obwohl die Quellenfrage zu diesem Kindheitsevangelium schwer zu verifizieren ist,53 wird bisher daran festgehalten, dass das Lateinische Kindheitsevangelium im Wesentlichen vom Protevangelium des Jakobus abhängig und mit dem Pseudo-Matthäusevangelium verwandt ist.54

Die vielfältige Abhängigkeit zu anderen Apokryphen scheint auch ein Grund dafür zu sein, dass es keinen direkten Rückgriff auf die biblischen Weihnachtserzählungen gibt. Lediglich in folium 75 scheint es einen direkten Rückgriff auf Lk 2,6 zu geben. Allerdings ist im Lukas-Evangelium Maria das Subjekt des Satzes.55 Im Lateinischen Kindheitsevangelium heißt es: ,,Josef aber wickelte das Kind in Windeln und legte es in eine Krippe."56 Und nur in folium 62-63 finden sich noch Andeutungen an das Lukas-Evangelium. So heißt es in folium 62: ,,Josef aber ging voraus in die Stadt. (...) und mitten in der Stadt stehend sprach er: ,,(...) Ich aber sehe dich nach langer Zeit wieder, Betlehem, gutes Haus des Königs und Gottespropheten David."57 Hier ist ein Bezug zu Lk 2,1-5 zu erkennen.58

Und nachdem Josef einen Stall fand, heißt es in folium 63, dass er sprach: ,,Für mich gibt es nämlich weder ein Gasthaus noch eine Herberge, wo wir rasten können."59

Das Motiv der Herberge ist ein Motiv aus Lk. 2,7.

 

5.4. Das Pseudo-Matthäus-Evangelium

Auch im Pseudo-Matthäus-Evangelium ist der direkte Rückgriff auf die biblischen Weihnachtserzählungen eher minimal. Wo dieser Rückgriff stattfindet, erfolgt dies meist nacherzählend.

Interessant ist dabei auch, dass das Pseudo-Matthäus-Evangelium dabei gerade bei der eigentlichen Geburtsszene nur sehr knapp die biblischen Weihnachtserzählungen aufgreift,60 während es bei der Darstellung im Tempel61, der Huldigung durch die Weisen62 sowie dem Kindermord in Betlehem und der Flucht nach Ägypten 63 sich stark an den biblischen Weihnachtserzählungen des Matthäus-Evangeliums und des Lukas-Evangeliums anlehnt.

 

5.5 Die ,,Geburt Mariens"


Wie der Titel dieses Werkes verrät, liegt der Hauptaugenmerk dieser Schrift auf der Darstellung der (wunderbaren) Geburt Mariens. So kann dieses Werk mit Recht als ,,Vorgeschichte zu den kanonischen Evangelien"64 bezeichnet werden.

Auffällig und interessant ist dabei zugleich, festzustellen, dass dort, wo diese Schrift auf die biblischen Weihnachtserzählungen zurückgreift, dies häufig steinbruchartig erfolgt, wobei diese Rückgriffe in einem neuen Erzählzusammenhang gesetzt werden.

So sagt zum Beispiel der Engel, der Anna die Geburt Mariens ankündigt, zu ihr: ,,Sie wird Maria heißen und mehr als alle Frauen gesegnet sein."65

Bei Lukas ist es Elisabeth, die diese Wort spricht, als Maria sie besucht.66

Und der Verkündigungsengel sagt gegenüber Anna von Maria: ,,Sie wird von Geburt an sogleich voll der Gnade des Herrn sein..."67. Das Maria begnadet sei, sagt ihr der Verkündigungsengel bei Lukas selbst.68
Zugleich kommt es noch einmal zu einem wiederholten Rückgriff auf die Verkündigungsszene des Lukas-Evangeliums im 9. Kapitel dieser Schrift.69 Dort steht dann selbst, dass der Verfasser dieser Schrift kein Interesse daran hat, die ,,Vor- und Nachgeschichte der Geburt des Herrn"70widerzugeben. Dementsprechend verwundert es nicht, dass das Kapitel 10 sich nur in einigen zusammenfassenden Worten dieses Heilsereignisses widmet, wobei es dies im Rückgriff auf die Weihnachtserzählungen nach Matthäus und Lukas macht.71


6. Apokryphe Weihnachtserzählungen als Bestandteil der christlichen Weihnachtsverkündigung

Obwohl die Apokryphen keine kanonische Anerkennung erhalten haben, haben sie vielfältig die christliche Weihnachtsverkündigung geprägt. In diesem Kapitel sollen einige Beispiele dafür genannt werden.

6.1 Ochs und Esel in der weihnachtlichen Geburtsszene

Keine der kanonisierten Bibelstellen berichten von Ochs und Esel in der Krippe. Und dennoch wäre eine Krippendarstellung neben der hl. Familie, dem Verkündigungsengel und den Hirten ohne sie fast unvorstellbar.  
Im Pseudo-Matthäus-Evangelium, in Kapitel 14, finden wir den Grund hierfür. Denn hier werden Ochs und Esel ausdrücklich erwähnt. Sie huldigen dem Kind. Mit ihrer Anwesenheit erfüllen sie die Prophezeiung der Propheten Jesaja und Habakuk.72 Letzterer prophezeit: ,, In der Mitte zwischen zwei Tieren wirst du bekannt werden."73

Wobei eine solche Übersetzung nur nach dem griechischen Text der Septuaginta möglich ist.74 In der hebräischen und lateinischen Fassung müsste die Übersetzung lauten: ,,Lass es in diesen Jahren geschehen, offenbare es in diesen Jahren!"75

So verdanken wir Ochs und Esel in der Krippe vielleicht nur einem Übersetzungsfehler.76 Ochs und Esel wurden als Allegorie des Juden- und Christentums verstanden.77

6.2 Geburtsgrotte oder (Ochsen-)Krippe?

In der westlichen Kirche wird in der christlichen Kunst - bis zum heutigen Tage - die Geburtsszene Jesu meist in einer Krippe dargestellt. So zeigt das früheste erhaltene Geburtsbild (um 320/325): Jesus in der Krippe, Ochs und Esel, ein oder mehrere Hirten.78

Doch für Weihnachtsikonen der Ostkirche typisch ist die Darstellung der Geburt Jesu in einer Höhle oder Grotte.79 Wie ist das zu erklären?

Im Protevangleium des Jakobus heißt es: ,,Und sie (gemeint sind die Hebamme und Josef) traten an den Ort der Höhle. Und eine finstere Wolke überschattete die Höhle."80 Und das Pseudo-Matthäus-Evangelium berichtet: ,,... und er (gemeint ist Josef) gebot Maria, vom Tier abzusteigen und eine unterirdische Höhle zu betreten."81 Erst in Kapitel 14,1 des Pseudo-Matthäus-Evangelium ist die Rede von einer Krippe: ,,Am dritten Tag nach der Geburt des Herrn verließ Maria die Höhle und ging in einen Stall. Sie legte den Knaben in eine Krippe; Ochs und Esel huldigten ihm."82 Und das Protevangelium des Jakobus weiß zu berichten, dass diese Krippe eine Ochsenkrippe war.83
Man kann mutmaßen, dass sich wegen der Ablehnung der Apokryphen im Westen der Typus der Krippendarstellung durchgesetzt hat.84

 

6.3 Caspar, Melchior und Balthasar

,,Wir kommen daher aus dem Morgenland,

  wir kommen geführt von Gotteshand.

  Wir wünschen Euch ein fröhliches Jahr.

  Kaspar, Melchior und Balthasar."85

Mit diesem Lied begrüßen die Kinder und Jugendlichen heute noch alljährlich zur Weihnachtszeit als Sternsinger die Haushalte. Unstreitig verkleidet als die drei Könige/Weisen aus dem Morgenland nach Mt 2,1-12, stellen sie sich als Caspar, Melchior und Balthasar dar. Doch im biblischen Kanon sind ihre Namen nicht zu finden. Auch hier löst ein Blick in die Apokryphen ihr Namensgeheimnis.  
So nennt das armenische Kindheitsevangelium86 diese Namen: Ursprünglich: Gaspar, Melquon und Balthasar. Es sind königliche Brüder: Gaspar (später auch: Caspar) ist König von Arabien, Melquon (später zu Melchior) ist König von Persien und Balthasar König von Indien.87
Nun sind kirchlicherseits diese Namen nicht offiziell als Namen der drei Weisen akzeptiert. Interessant ist aber, dass die Namenskürzel scheinbar in dem Segen, den die Sternsinger über jedes Haus/jede Wohnung anbringen, diskret verarbeitet wurden:

19 * C + M + B + 99`. So schreiben die Sternsinger den Segen. Die Buchstaben, die als Namenskürzel für die Weisen Caspar, Melchior und Balthasar stehen und vom jeweiligen Jahresdatum eingerahmt werden, werden nun aber als Anfangsbuchstaben eines Segens verstanden: ,,[C]hristus [M]ansionem [B]enedicat", daß heißt: ,Christus segne diese Wohnung!`

 

6.4 Die Jungfräulichkeit Mariens

Im Jahr 649 fand die Römische Kirchenversammlung im Lateran unter Papst Martin I. statt. Sie erklärte: ,,Wer nicht mit den Heiligen Vätern im eigentlichen und wahren Sinne die heilige und immer jungfräuliche (..) Maria (..) bekennt, da sie (...) unversehrt geboren hat, indem unverletzt blieb ihre Jungfrauenschaft auch nach der Geburt: der sei verworfen." 88

Das, was hier in sehr dogmatischem Ductus formuliert wurde, findet sich so nicht in den kanonischen Evangelien. Wohl die Apokryphen entfalten in sehr anschaulicher Weise diese Glaubenslehre von der Jungfräulichkeit Mariens vor und auch nach der Geburt Jesu.

Als ältestes Zeugnis dieses Glaubens sei hier Kap. 19,2-20 des Protevangeliums des Jakobs genannt89.

Wie schon an anderer Stelle festgestellt wurde, lag dieses Evangelium bereits um das Jahr 200 vor, also ca. 450 Jahre bevor die Römische Kirchenversammlung von 649 diesen Glaubenssatz manifestierte.

Noch einmal klar formuliert wurde dieser Glaubenssatz von Papst Paul IV (1555) in seiner Konstitution ,,Cum quorundam"90: ,,(Es wird die Meinung verurteilt: ) daß er (Jesus Christus) dem Fleische nach nicht im Schoße der seligsten immer jungfräulichen Mutter Maria vom Heiligen Geist, sondern, wie die übrigen Menschen, aus dem Samen Josephs empfangen wurde [..] oder daß dieselbe seligste Jungfrau Maria nicht wirklich Gottesmutter sei, dass sie nicht immer in unversehrter Jungfrauschaft verblieben sei, nämlich vor der Geburt, in der Geburt und immerdar nach der Geburt. [..]".

 

7. Apokryph und nicht kanonisch

Die ganze Diskussion, warum die Apokryphen nicht kanonisiert wurden, kann im Rahmen dieser Arbeit nicht umfassend dargestellt werden.

Deshalb soll dies hier nur überblicksartig geschehen. Dabei spielen einige Prinzipien eine bedeutende Rolle.  
Wolfgang Beinert stellt dazu fest: ,,Kriterien für die Aufnahme einer Schrift in den Kanon sind Apostolizität (Herkunft von den Aposteln oder ihren Schülern), liturgischer Gebrauch (Hinweis auf die existentielle Bedeutung) und kirch. Rezeption (Entsprechung zur Glaubensregel [kánon tès písteos], d.h. zu den frühchristlichen Glaubensbekenntnissen)."91

Doch ist es im strengen Sinne nicht möglich, eine detailierte Kanongeschichte zu schreiben.92 Und auch die Anwendung der genannten Prinzipien kann streng genommen nicht nachgewiesen werden.93 Vielmehr vollzog sich die Kanonisierung in einem langen und sehr uneinheitlichen Prozess.94

Worin sind die Gründe für eine Kanonisierung zu sehen?

Die Verbreitung ,,synkretistischer Durchsetzung"95, die Beanspruchung apostolischer Autorität einiger Apokryphen96, die Apologie gegenüber gnostischer und anderer Irrtümer97 zwangen die Kirche zur Erstellung eines biblischen Kanons. In ihm sollten die Schriften aufgenommen werden, die die christliche Überlieferung vollständig und unverfälscht enthalten.98

Dabei spielte die Mitte des christlichen Kerygmas eine entscheidende Rolle.99

Daniel-Rops kommt deshalb in diesem Zusammenhang zu der Feststellung, ,,daß die ,,apokryphen Evangelien" nichts zur Offenbarung beitragen"100.

So ist beim Matthäus-Evangelium die Passionsgeschichte zum Beispiel der Höhepunkt, der auch das Osterereignis mit einbezieht. Von daher bekommt der Rest des Evangeliums seine Bedeutung.101

Auch in den Kindheitsevangelien wird deutlich, daß die Apokryphen Jesus als göttlichen Menschen erscheinen lassen, während die kanonischen Evangelien einen großen Wert auf die Betonung seiner Menschenkindheit legen.102

Daniel-Rops mutmaßt zudem, dass die Apokryphen den Versuch unternehmen, die Texte des Neuen Testamentes mit denen des Alten Testamentes in Einklang zu bringen, in dem man einzelne Teile der Bibel den Glaubenserfordernissen der damaligen Zeit anpasste.103 Er sieht ferner in einem Mangel an Zartgefühl und einer gewissen Taktlosigkeit die Gründe einer abgelehnten Kanonisierung.104

Wie dem auch sei: Die Kanonisierung der Bibel erscheint als eine notwendige Zusammenstellung von Schriften, um die christliche Überlieferung gegen Korrekturversuche auch der Apokryphen zu schützen.105

 

8 Schluss

Obwohl sie nicht direkt Gegenstand der pastoralen und theologischen Glaubensverkündigung und kirchenamtlicherseits nicht als Hl. Schrift (vgl. Kanon) anerkannt sind, haben die Weihnachtserzählungen in den apokryphen Kindheitsevangelien bis zum heutigen Tag einen wichtigen Anteil an der Weihnachtsverkündigung und am weihnachtlichen Brauchtum.

Selbst ihre teilweise Verurteilung als häretische Schriften konnte dies nicht verhindern.

Auch wenn den Apokryphen bescheinigt wird, sie trügen nichts zur Offenbarung bei, haben sie zumindest mittelbar zu dem beigetragen, was noch heute Christen wir Nichtchristen unter Weihnachten verstehen.

Und in dem sie sich in wesentlichen Punkten auf die kanonischen Evangelien beziehen, obwohl sie mitunter auch sehr frei und phantasievoll die biblischen Texte weiterverarbeitet haben, war es ihnen leicht gemacht, vom gläubigen Volk in den Glaubensalltag integriert zu werden.

,Geschätzt und verworfen!`: In dieser Spannung fristen auch heute noch die Weihnachtserzählungen der apokryphen Kindheitsevangelien ihr Dasein.

Doch die Beschäftigung mit ihnen - und das wollte diese Arbeit ansatzweise zeigen -, macht deutlich, dass unser weihnachtliches Brauchtum (z.B. die Krippendarstellungen von Ochs und Esel und die Sternsinger) und die Weihnachtsverkündigung ohne die Weihnachtserzählungen der apokryphen Kindheitsevangelien um einiges ärmer wäre.

Selbst auf dogmatische Lehrentscheidungen des kirchlichen Lehramtes hatten diese Schriften einen maßgeblichen Einfluss, was am Beispiel der Jungfräulichkeit Mariens skizziert werden konnte.

Darin liegt die Bedeutung der Weihnachtserzählungen in den apokryphen Kindheitsevangelien; und darin liegt auch der Grund, sie auch heute noch als einen Teil unseres christlichen Glaubenslebens nicht ignorieren zu können.

 

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